Christian Dienst

Einsatzoptionen eines Marinehubschraubers

Schnittstelle See/Land

Fregattenkapitän Christian Dienst
ist der Kommandeur Fliegende Gruppe
Marinefliegergeschwader 5 in Kiel.

Der Einsatz von Hubschraubern in Konfliktszenarien und in Operationen des Krisenmanagementes gewinnt zunehmend an Bedeutung. Konzeptionelle Überlegungen gehen dabei traditionell vom Landeinsatz der Hubschrauber in der Verantwortung des Heeres oder der Luftwaffe und vom See-Einsatz in der Marine aus. Beim Landeinsatz wird von taktischer Einsatz- bzw. Kampfunterstützung und Lufttransport und beim See-Einsatz von Unter- und Überwasserseekrieg und taktischem Lufttransport ausgegangen. Vorstellungen, die alle oben genannten Einsätze miteinander verbinden, münden schnell in Szenarien von amphibischen Operationen. An dieser Stelle bricht die deutsche Lagebeurteilung meist ab, da hierfür nur die Vereinigten Staaten und wenige alliierte Partner befähigt sind. Die folgenden Ausführungen richten den Blick aus deutscher Sicht auf die "taktische Schnittstelle" zwischen dem Land- und dem See-Einsatz von Hubschraubern.


Evakuierungsübung mit einem Marinehubschrauber

"Schnittstelle See/Land" im Unterschied zur amphibischen Operation

Herkömmliche amphibische Operationen dienen dem Zweck, Kampf- und Kampfunterstützungstruppen von See kommend im Operationsgebiet anzulanden. Bekannte Operationen lassen sich während des Zweiten Weltkrieges von der Normandie bis zur japanischen Inselwelt und in der jüngeren Vergangenheit im Rahmen der UN-Einsätze an der somalischen (1992) oder der haitianischen Küste (1994) belegen. In die Planungen der U.S. Navy und des US-Marinecorps sind mittlerweile Evakuierungsoperationen von Soldaten und Zivilisten bzw. von Kombattanten und Nichtkombattanten als Krisenmanagementoptionen der amphibischen Kriegführung eingegangen. Der wesentliche Unterschied wird hierbei im Mittelansatz hinsichtlich Stärke und Spezialisierung gemacht. Geläufige Einsatzmittel sind dabei vor allem Dock- und Hubschrauberlandungsschiffe mit ihren Strandlandungsbooten bzw. schweren Transporthubschraubern. Der taktische Ansatz und der Ablauf orientieren sich vor allem an der Lagefeststellung, ob die Operation unter Bedrohung oder unbehelligt (hostile or permissive environment) durchgeführt werden kann. Als quasi Grauzone dazwischen wird das "unsichere" Umfeld (uncertain environment) definiert, wobei die Vereinigten Staaten aufgrund ihrer Möglichkeiten dann wiederum eher von dem schlechtesten Fall (worst case) und folglich einem Mittelansatz "unter Bedrohung" ausgehen.

Die deutsche Marine wird mit der Indienststellung des Einsatzgruppenversorgers BERLIN und seinen zwei organischen Bordhubschraubern vom Typ "Sea King" im nächsten Jahr über die Fähigkeit verfügen – von See kommend auf das Land zu –, taktische Einsatzunterstützung zu leisten. Da diese Fähigkeit nicht für amphibische Operationen im obigen Sinne konzipiert ist, gilt es, sie damit auch in der Terminologie zu unterscheiden. Daher werden hier die deutschen Parameter in diesem Bereich unter dem Etikett "Schnittstelle See/Land" beleuchtet.

 Der EGV

Das Typschiff BERLIN und ihr Schwesterschiff FRANKFURT sind als Einsatzgruppenversorger (EGV) in erster Linie für die logistische Durchhaltefähigkeit von Einsatzgruppen der Marine auf See konzipiert; d.h. sie bieten vor allem Kraftstoff, Wasser, Proviant und Munition zur Versorgung sowie die Entsorgungskapazität der mitlaufenden zwei bis drei Fregatten/Zerstörer und eventueller Ergänzungskräfte wie Schnell-, Minenjagd-, Aufklärungs- und Unterseeboote bzw. deren Tender. Darüber hinaus verfügen die EGVs über die Aufnahmekapazität für ein containerisiertes Marineeinsatzrettungszentrum (MERZ) und eine stationäre Bettenstation. Die im Hangar des EGV mitgeführten zwei Bordhubschrauber vom Typ "Sea King" dienen sowohl der Versorgung im Außenlastverfahren (vertical replenishment, VERTREP) als auch zum Kranken- bzw. Verwundetentransport (Medical-/Casualty Evacuation) für die direkten Belange der Einsatzgruppe oder aber für autarke Aufgaben im Rahmen der sanitätsdienstlichen Einsatzunterstützung von teilstreitkraftübergreifenden und/oder alliierten Operationen (joint/combined operations). Spätestens in dieser Rolle rückt der Einsatzraum des EGV in das Küstenvorfeld (littoral waters) und sein Einsatzprofil an die "Schnittstelle See/Land".

Konzeptionell sind Evakuierungsoperationen heute auch für die Bundeswehr nicht mehr ausschließlich an sanitätsdienstliche oder humanitäre Erfordernisse im Katastrophenfall gebunden. Die teilstreitkraftübergreifende Konzeption des Generalinspekteurs für Evakierungsoperationen der Bundeswehr betrifft den Einsatz der Streitkräfte zur Rettung von vornehmlich deutschen Staatsbürgern und Soldaten aus konkret bedrohlichen Lagen außerhalb des Heimatterritoriums. Einsatzbeispiele jüngster Vergangenheit sind die Evakuierungen der letzten Heereskräfte durch die Marine aus Mogadischu/Somalia und deutscher Bürger durch die Heeresflieger aus Tirana/Albanien. Hierfür sind inzwischen bestimmte Spezialkräfte und Einsatzmittel der Bundeswehr vorgemerkt, so auch drei Marinehubschrauber "Sea King" des Marinefliegergeschwaders 5 in Kiel. Mit Indienststellung des EGV erhält die Bundeswehr ein eigenes, autarkes Einsatzpaket, welches über ausreichende Transportkapazität zur Luft (bis zu 19 Personen pro Flug und Hubschrauber) und Aufnahmekapazität an Bord des EGV verfügt. Aber weder der EGV noch der Bordhubschrauber "Sea King" verfügen über einen technisch zeitgemäßen, lagegerechten und damit ausreichenden Eigenschutz, um sich einer konkreten Bedrohung aus der Luft, von See oder über Land erwehren zu können. Entsprechende Nachrüstmaßnahmen sind zwar vorstellbar, angesichts der konkreten Haushaltslage jedoch kaum umsetzbar. Unter dieser Voraussetzung lassen sich folgende Einsatzoptionen für den EGV mit Bordhubschrauber an der Schnittstelle "See/Land" beschreiben:

  • Evakuierung von Verwundeten,
  • Evakuierung von deutschen Staatsbürgern,
  • Evakuierung von deutschen und alliierten Soldaten,
  • Verbringen von Ausrüstung und Material von See an Land bzw. von Land an Bord, 
  • Verbringen von Truppen und Spezialkräften von See an Land bzw. von Land an Bord.

Anflug auf den französischen Flugzeugträger FOCH

Fähigkeiten

Um die vorstehenden Einsatzoptionen umsetzen zu können, sind vor allem für den Bordhubschrauber bestimmte Fähigkeiten erforderlich. Teilweise sind sie bereits heute mit der Ausrüstungskonfiguration des "Sea King MK41" und der Einsatzausbildung seiner Besatzungen vorhanden.

Die Transportkapazität des Hubschraubers muß das Verbringen vieler Personen ermöglichen. Sein Innenraum sollte hinsichtlich Personen-, Verwundeten(liegend) und Materialtransport mit wenig Aufwand flexibel gestaltbar sein. 

Besonderes Augenmerk kommt der Führungsfähigkeit zu. Hierbei gilt es, sowohl den passiven (geführt werden) wie den aktiven (führen) Aspekt zu berücksichtigen. Dabei stellen sich folgende Fragen:

Wie läßt sich vor allem "operational control" über den Hubschrauber ausüben und über welche Kommunikationsschnittstellen zu eventuell miteingesetzten Einsatzmitteln bzw. Landeinheiten und Bodenstationen verfügt der Bordhubschrauber? (Frequenzspektren HF, mil. FM, UHF, VHF / verschlüsselte Verbindungen / Satellitenkommunikation / Geräteanzahl.) Für komplexere Einsätze kann ein "Airborne Mission Commanders" (AMC) an Bord des Hubschraubers erforderlich sein. Ist die Besatzung in der Lage, diesen selbst zu stellen bzw. lässt sich dessen Arbeitsplatz im Hubschrauber überhaupt einrichten? (MK41 – jeweils ein unverschlüsseltes HF, VHF und UHF-Gerät, nutzbar über drei Sprechstellen in der Kabine.)

Der erfolgreiche Einsatz des Hubschraubers ist direkt an seine Möglichkeiten im Bereich der erweiterten Flugfähigkeit gebunden. Ist der Einsatz bei Tag und bei Nacht möglich, ist der Hubschrauber allwettertauglich? Wobei es immer zwischen dem Flug über See und über Land bzw. zwischen Start und Landung auf dem EGV und in engen Verhältnissen am Boden (confined areas) zu unterscheiden gilt. Ist der Bordhubschrauber mit Nachtsichthilfen (night vision goggles) ausgestattet und viel wichtiger, wie hoch ist der Ausbildungstand der Besatzungen bei Flügen unter Restlichtbedingungen in unbekanntem Gelände? Unter diesem Aspekt mag die nach dem Kosovo-Krieg in der internationalen Fachpresse geführte Diskussion über den Einsatz oder besser den Nichteinsatz der 22 "Apache"-Kampfhubschrauber der U.S. Army über dem fremden Terrain des Balkans jeden fliegerischen Vorgesetzten zum Nachdenken bewegen. Ein weiteres Hilfsmittel zur Flugführung kann ein Infrarotsichtgerät (forward looking infra red – FLIR) sein. Herkömmliche FLIR-Ge-räte, die in der Regel nur für eine Suche bei Nacht bzw. zur Zieldiskriminierung im taktisch-operativen Bereich eingerüstet sind, schließen deren Einsatz zur Echtzeitflugführung für die Piloten jedoch aus. (MK41 – tagflugfähig bis 800m


Marinehubschrauber mit "Sea-Skua"-Flugkörper

Flugsicht, nachtflugfähig bis 1500 m Flugsicht über See bzw. 3000 m über Land, instrumentenflugfähig nach internationalem ICAO-Standard, taktisches FLIR in Beschaffung.) 

Vervollständigt werden die Schlüsselfähigkeiten des Bordhubschraubers an der "Schnittstelle See/Land" durch die Eigenschutzfähigkeit. Auch hier gilt es zwischen einem Einsatz über See und über Land zu unterscheiden. Bei einer Kampfwertsteigerung Ende der achtziger 


Gemeinsame Übung mit dem Heer

Jahre wurde der Such- und Rettungshubschrauber "Sea King MK41" zu einem Marinehubschrauber aufgerüstet, der mit optimiertem Radargerät und Flugkörpern vom Typ "Sea Skua" für die Kampfunterstützung über See befähigt ist. Dazu gehört ebenfalls ein begrenzter Eigenschutz mit Radarwarnempfänger sowie Hitze- und Radartäuschkörperwurfanlage (flare/chaff) – dies jedoch unter Weiterverwendung von veraltetem Gerät aus der Phantom RF4E in einem Entwicklungsstand aus den sechziger Jahren. Insofern ist für den "Sea King MK41" über See ein begrenzter Eigenschutz, jedoch über Land keine Durchsetzungsfähigkeit gegeben. Als taktische Einsatzoption für die Lage eines "uncertain environments" kann in einem teilstreitkraftübergreifenden Ansatz der Bordhubschrauber und somit die gewünschte Evakuierungsfähigkeit nach See mit Begleitschutzverfahren (rescue escort) über Land durchgesetzt werden. Im Vorgriff auf eine Einsatzmöglichkeit des neuen Unterstützungshubschraubers des deutschen Heeres, dem "Tiger", wurden gemeinsam in der Flottille der Marineflieger und der Gruppe Weiterentwicklung der Heeresflieger entsprechende Verfahren aus den taktischen Publikationen der US-Streitkräfte abgeleitet und erprobt.

Ergänzend sollte noch die Be- und Entladefähigkeit des Bordhubschraubers für den Einsatz an der "Schnittstelle See/Land" beleuchtet werden. Idealerweise verfügt auch der Marinehubschrauber über eine Laderampe für schnelles Be- und Entladen von Passagieren und sperrigem Material oder ersatzweise über ein großes Laderaumtor mit Einstiegshilfe, über eine leistungsfähige Winde für den Einsatz über schwierigem Gelände, über eine signifikante Außenlastfähigkeit sowie über die Möglichkeit, die Verfahren "fast roping" und "spy rigg" zum Verbringen und Aufnehmen von Spezialkräften anzuwenden. Bis auf die Laderampe bzw. eine Einstiegshilfe und eine Begrenzung der Außenlastkapazität bei maximal 1,8 Tonnen entspricht der deutsche "Sea King MK41" den obigen Einzelaspekten.

Bei zunehmend multinationalen Einsätzen wird deutlich, dass als Operationsbasis zur See für den Bordhubschrauber "Sea King MK41" an der "Schnittstelle See/Land" neben dem EGV natürlich auch die entsprechenden Plattformen der Partnerländer, nämlich Flugzeugträger, Dock- und Hubschrauberlandungsschiffe, Führungsschiffe und Flottenversorger in Frage kommen. Erfahrungen hierzu liegen aus den Einschiffungen des Marinefliegergeschwaders 5 mit "Sea King MK41" auf dem französischen Flugzeugträger "Foch" 1998 im Mittelmeer, auf dem britischen Versorger "Olna" 1998 in den Hebriden und dem französischen

Docklandungsschiff "Foudre" 1999 in der Biskaya bereits vor. Diese Plattformen können bei entsprechender Zusatzausbildung der Besatzungen als Einsatzbasis für die mittleren Transporthubschrauber "CH53" bzw. den Unterstützungshubschrauber "Tiger" des deutschen Heeres dienen. Die US-Streitkräfte haben eine solche Einsatzoption im Zusammenwirken zwischen U.S. Navy, U.S. Marinecorps und U.S. Army anlässlich der UN-Operation vor Haiti umgesetzt.

Sachstand

Im Jahr 1998 fanden zwei teilstreitkraftübergreifende Übungen mit der Zielrichtung auf den oben beschriebenen Ansatz im Rahmen von Evakuierungen statt.

Das Drehbuch der Übung "Schneller Seewolf" beschrieb im Kern den Auftrag, eine imaginäre Botschaft im Küstenbereich von Land nach See zu evakuieren. Hierfür waren Züge des Kommandos Spezialkräfte (KSK) aus Calw auf einer deutschen Fregatte eingeschifft worden, die wiederum u.a. von zwei Versorgungsschiffen der Klasse 404 begleitet wurde. Somit standen im Verband drei Hubschrauberlandeplattformen bereit, die mit deutschen "Sea Kings" besetzt waren. Unter Mitwirkung weiterer Sicherungskräfte an Land, zur See und aus der Luft wurden die Spezialkräfte mit den Marinehubschraubern angelandet und anschließend wieder zusammen mit den zu evakuierenden Personen auf die Schiffe verbracht.


Marinehubschrauber auf einem Docklandungsschiff

Die Übung "Schneller Albatros" sah nur drei Wochen später ein ähnliches Szenario vor. Die Spezialkräfte wurden durch die Waffentauchergruppe der Marine gestellt. Die beiden auf den Tendern der Klasse 404 stationierten Marinehubschrauber "Sea King" wurden mit dem Verfahren "Rescue Escort" über Land geschützt. Hierbei kamen zur Verfahrensentwicklung für den neuen "Tiger" die Hubschrauber BO 105 der Heeresfliegerversuchsstaffel 910 aus Bückeburg zum Einsatz.

Die oben schon erwähnte "Teilkonzeption bereichsübergreifende Aufgaben" (TKBA) für Evakuierungsoperationen der Bundeswehr bildet einen ausreichenden Rahmen, in welchem auch zukünf-tig Taktiken und Verfahren in einem Joint-Ansatz weiterentwickelt werden können.

Fazit

Autarke amphibische Operationen werden auch künftig wenigen Partnerstreitkräften vorbehalten bleiben. Das jähe Ende der Beschaffungsplanung für ein Führungsschiff der Bundeswehr hat den deutschen Streitkräften die Ankoppelungsfähigkeit an die Fähigkeiten unserer NATO-Partner bis heute verwehrt. Der Zulauf der Einsatzgruppenversorger der Marine bietet mit ihren Hubschraubern eine zwar kleine, aber bemerkenswerte Option an der "Schnittstelle See/Land". Der Zulauf der Unterstützungshubschrauber "Tiger" des Heeres wird die Durchsetzungsfähigkeit über Land erhöhen. Und der Zulauf eines Nachfolgemusters für den "Sea King", sei es der geplante Marinehubschrauber 90 oder eine navalisierte Version eines Nachfolgemodells des leichten Transporthubschraubers des Heeres, wird den teilstreitkraftübergreifenden Ansatz hoffentlich irgendwann einmal in den "state of the art" erheben.